Elisabeth Wagner

Bildhauerin | Professorin für Bildhauerei

Kodiak trifft Kuckuck, 2005
Städtische Galerie im Turm, Donaueschingen


Einen Schritt über das nahe Liegende hinaus gehen - dann Anlauf nehmen und den Sprung wagen. Von Erdenschwere befreit, sind wir nur noch Auge und Ohr. Körperlos im freien Flug können wir den Dingen unendlich nahe kommen. Die Dimensionen verschieben sich. Ist der Zapfen gewachsen oder sind wir geschrumpft und können uns nun deshalb insektengleich auf einer seiner fein säuberlich geschichteten Schuppen niederlassen7 In ein anderes Dasein transformiert ist auch der Bär, der sich, alle Viere von sich streckend, auf dem Boden ausbreitet. Ein massiger Kodiak liegt da und fast schon sind wir auf dem Weg hinauf zum Großen Bären, wäre da nicht Etwas an dem zotteligen Pelz, das uns wieder auf die Erde zurückholt. Aus hunderten von Zapfen, Zäpfchen und Kiefernnadeln gelegt und gesteckt, berührt uns die Gestalt durch ihre massive Präsenz ebenso wie durch ihre Fragilität, durch ihre Fremdheit ebenso wie durch ihre augenscheinliche Realistik. Gerade beugen wir uns über die große Schnauze, um dem Geruch des Waldes nahe zu kommen, als ein Geräusch unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein Schnarren als setze sich ein mechanisches Laufwerk in Bewegung, dann Stille. "Kuckuck Kuckuck". Die Stunde hat geschlagen. Während unser Blick noch nach dem Ursprung des Tons sucht, hat unsere Vorstellungskraft das Bild schon vervollständigt: Das Türchen ist aufgesprungen und hat den Weg freigegeben für den gefiederten Bewohner. Mit höflicher Verbeugung bringt er seine Mahnung vor: "Carpe diem - Nutze den Tag!" An langen Ketten hängen schwere Gewichte. Nichts davon sehen wir und doch ist Alles da.

Margrit Brehm




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