Elisabeth Wagner

Bildhauerin | Professorin für Bildhauerei
minimal___________pompös
Sven Christian Schuch
Kurator & Künstlerischer Leiter sp ce | Muthesius

minimal pompös, diese beiden Adjektive leiten auf Irrwege und bereiten das ideale Spektrum, sich der künstlerischen Praxis von Elisabeth Wagner zu nähern; veranschaulichen sie doch den vergeblichen Versuch, eine künstlerische Position, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat, schlagwortartig zu charakterisieren. Die Kunst von Elisabeth Wagner changiert zwischen Reduktion auf Minimales - ohne dabei mathematisch analytisch sich mit der Form zu begnügen - und der Lust zum Verführen, zur ausladenden opulenten Geste.

Als Titel diente dieses vermeintliche Gegensatzpaar ihrer Retrospektive im spce | Muthesius (09.02. - 04.03.2023), die exemplarisch Werke aus über vier Jahrzehnten bildhauerischen Schaffens im direkten Austausch nebeneinander arrangierte und den Versuch unternahm, grundlegende bildhauerische Ansätze und ironische Brüche mit Konventionen im Werk von Elisabeth Wagner herauszuarbeiten: von frühen Arbeiten wie Kleine Kühe (1980) oder Schwimmender Hund (1982) über Zwei Affen (Menschliche Torheit) (1988), Klunker (2006 - ongoing) bis hin zu neueren Arbeiten wie Upside Down (2016/17/21), Schlaf (2021) oder Diego (2022).

Dabei ist eine klare künstlerische Zuordnung im Werk von Elisabeth Wagner erstmal nicht augenscheinlich, sind die Arbeiten in Material, Form und Grundstimmung unterschiedlich, heterogen. Aber genau da heißt es anzusetzen; heißt es, sich zu öffnen, wenn man sich dem Skulpturenbegriff von Elisabeth Wagner nähern möchte.
Wagners Arbeiten schaffen es mit einer Spur Ironie starre Definitionen und tagesaktuell vorherrschende, gerade zu Beginn ihrer Karriere oft patriarchal geprägte Kunstströmungen zu überwinden und sich aktiv darüber hinwegzusetzen.

Kunsthistorische Anspielungen lassen sich immer wieder in den Arbeiten finden und spiegeln die Faszination Wagners wider, wie durch eine exakte bildhauerische Analyse von Raum, Material und gegebenen Kontext Momente des Innehaltens, der Irritation, der radikalen Neuorientierung entstehen. Zwei (2021) mag formal erinnern an Arbeiten von Lee Bontecou, bricht dies aber durch die ironische Verwendung des einfachen Materials Pappe und seine bewusste Zweidimensionalität. Wie zwei Augen starren sie den Betrachter an, wie zwei schwarze Löcher entwickeln sie durch eine ihnen immanente Leere und trotz ihrer Zweidimensionalität eine Sogwirkung, die durch einfachste Mittel zustande kommt. Diego (2021) ist eine jüngere Arbeit aus einer ganzen Serie an Büsten (Falsche Freunde, 2000-ongoing), in denen berühmte Akteure oder Figuren der Malereigeschichte portraitiert und als Plastik in die Gegenwart transferiert werden. Hier handelt es sich um den Maler Diego Velazquez, mit edlen Gesichtszügen scheint er sich aus dem Boden hervorzuarbeiten, wobei die Tonästhetik dazu beiträgt, dass er damit zu verschmelzen scheint.

Ohne Titel (Membran) (2021) wirkt hingegen nahezu spröde. Formale Paten könnte man im Amerikanischen Minimalismus eines Sol Lewitt suchen, in einer Serialität, die genau dies zum Grundprinzip auserkoren hatte. Bei der Installation handelt es sich um eine Neuformulierung der bereits in früheren Arbeiten verwendeten Grundform einfacher Metallkuben aus feinem Draht. Wagner geht es hier um Transparenz und die monumentale Flüchtigkeit der Form, ein tastendes Bewusstwerden von Grenzen, Innen und Außen, um den konkreten Bezug von Mensch zu Raum, Volumen, die Proportion, den situativen Lichteinfall, der immer unterschiedliche Wahrnehmungen im Moment der Betrachtung ermöglicht.

Schwimmender Hund (1981), aus Pappe gefertigt, reichen Kopf und Schwanz um die Assoziation zu erwecken, eine Aktion zu erleben. Der Boden wird zur Wasseroberfläche, die Modellierung des Körpers des Hundes überlässt Wagner der Imagination des Betrachters. Wagners Arbeiten bleiben nie im Formalen stecken, sie findet in ihren Arbeiten zum Menschen zurück, vertraut deren Aufmerksamkeit und Beobachtungsgabe, der Zeit, die sie den Werken schenken, um aus einfachsten, aus elementaren Bausteinen, eine Geschichte zu entspinnen. Es geht nicht darum, dass der Betrachter etwas Bestimmtes darin sieht, sondern wann, und welche Erfahrung dies bereithält.

Die Arbeit abgestellt (2020) ist ein Bronzeabguss und ein Autoporträt der Künstlerin in bildhauerischer Form, die eine frühe Arbeit aus Studienzeiten aufgreift. Klobige Stiefel, modelliert aus schnöden Pappmasche, lassen die Assoziation aufkommen, als wäre Wagner gerade durch Schlamm in die Ausstellung gewatet und hat ihr Schuhwerk eben einmal im Eingangsbereich abgestellt. Schwer und doch leicht, fangen sie einen flüchtigen Moment ein, und werden Jahrzehnte nach ihrer ersten skulpturalen Ausführung, in Bronze verstetigt. Allerdings hat sich die Person, sprich die Künstlerin, verflüchtigt und hinterlässt nur noch ihren Abdruck, die Form spricht vom Abwesenden, ein durchgängiges Thema in den Werken Wagners.

Alles verbindende Klammer im Schaffen von Elisabeth Wagner ist das Austarieren des Materials, das Zulassen von Ambivalenzen und Illusionen, der daraus entstehenden Spannung zwischen Leichtigkeit und Schwere. Dieser Aspekt wohnt durchziehend allen Arbeiten inne. Zudem treten die Arbeiten in direkten Dialog miteinander, kommunizieren die Materialien untereinander, beeinflussen die Rezeption der skulpturalen Arbeiten und somit auch die Erfahrung von Raum und Materie. Wagner erarbeitet sich einen Raum, baut eine Ausstellung, schafft eine Situation, an dem jeweiligen Ort ihrer Präsentation, so dass der Ort essentieller Bestandteil der Arbeit wird.

 

 


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